"Wir wurden bös entstellt"

Interview mit Prälat DDr. Martin Schlag, Regionalvikar des Opus Dei in Österreich, Slowakei, Tschechien und Ungarn.

Interview. Der Österreich-Chef des Opus Dei über Bußpeitsche und andere Schmerzen.

Selbstgeißelung mit fünfschwänziger Peitsche, Metzeleien, um zu verhindern, dass die "Wahrheit" über Jesus (er hatte Frau und Kind) bekannt wird: Ab 19. Mai wird dieses Zerrbild des Opus Dei aus Dan Browns Roman "Sakrileg" weltweit über die Leinwand verbreitet: im Hollywood-Film "The-Da-Vinci-Code". Wie reagiert Opus Dei? Ein Gespräch.

Die Presse: Opus Dei ist die umstrittenste kirchliche Institution, keine wurde so viel verdammt. Bestseller-Autor Dan Brown hat es erstmals geschafft: Opus Dei geht groß an die Öffentlichkeit. Warum? Martin Schlag: Das Buch wird nicht "nur" die 40 Millionen, die es bisher gelesen haben, sondern durch den Film hunderte Millionen erreichen. Wir mussten eine Entscheidung treffen: auf die Barrikaden gehen - oder eben versuchen, aus der bitteren Zitrone Limonade zu machen.

Ist das eine globale Aktion?

Schlag: Ja. Das Sakrileg-Phänomen ist global, also braucht es eine globale Antwort.

Einzelne Vatikan-Kardinäle haben zum Boykott und zu Klagen gegen "Sakrileg" aufgerufen. Ihre Reaktion ist vergleichsweise sanft.

Schlag: Es gibt nicht nur eine Antwort auf etwas, das so die Gemüter erregt. Wir haben mit dem Angebot von Information gute Erfahrungen gemacht. Die Opus-Dei-Homepage hatte 2005 drei Millionen Zugriffe. Das Interesse an der Wahrheit ist also da.

Woher hat Opus Dei seinen schlechten Ruf?

Schlag: Zunächst war da der Widerstand gegen das Neue, nicht Einzuordnende. Dann geht es oft nicht so sehr um Opus Dei, sondern vielmehr um die kirchliche Lehre. Und schließlich: Wir wurden bös entstellt.

Ist die Aura des "Geheimbundes" grundlos? Im Engagement von Opus-Dei-Mitgliedern und -einrichtungen hat man oft den Eindruck, als würde der Opus-Dei-Hintergrund bewusst verschleiert.

Schlag: Da missversteht man das Wesen des Laien in der Welt, der ohne Ordenshabit und eigenverantwortlich handelt. Das Opus Dei ist eine Tankstelle, wo man sich den Kraftstoff holt, um zu fahren, wohin man will. Viele Studentenheime oder Krankenhäuser haben nicht "Opus Dei" an der Tür stehen, weil es zivile, wirtschaftlich eigenständige Mitglieder-Initiativen sind. Das Opus Dei übernimmt die religiöse Betreuung - aber das wird ausnahmslos ausgewiesen.

Früher durften sich Opus-Dei-Mitglieder nur mit Erlaubnis des Oberen öffentlich deklarieren. Und heute?

Schlag: Der Sinn jener Konstitutionen von 1950 war kollektive Demut. Diese Statuten wurden abgelöst von jenen der Personalprälatur, in denen davon keine Rede ist. Ich würde sogar sagen: Bei einem Mitglied, dessen Umfeld das nicht merkt und nicht weiß - da stimmt was nicht.

Noch ein Vorwurf, immer wieder von "Abtrünnigen" erhoben: intensive Kontrolle der Mitglieder in punkto Freizeit, geistiger Betätigung - bis zur Zensur.

Schlag: Das Opus Dei will bei der Alltags-Bewältigung helfen, und dazu gehört sinnvolle Ausnutzung von Zeit. Es kennt aber keine Zensur - um Gottes willen, da würde jeder normale Mensch gehen!

Manche sind gegangen. Und berichten, dass starker Druck ausgeübt wurde, um sie zum Bleiben zu bewegen.

Schlag: Die meisten, die uns verlassen, sind im besten Verhältnis mit Opus Dei. Allerdings sehen wir die Mitgliedschaft als Berufung. Sie aufzugeben, ist also immer auch ein persönliches Scheitern.

Kritisiert wird auch die nicht gerade feministische Aufgabenteilung in Opus-Dei-Häusern.

Schlag: Frauen arbeiten in allen Bereichen der Prälatur genau wie Männer. Es stimmt, Hausarbeit in den Zentren des Opus Dei ist den Frauen vorbehalten, das ist ein freiwilliger, sehr geehrter Beruf, wir nennen es das Apostolat der Apostolate, die Grundlage für alles. Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht, als allgemein gültige kirchliche Regel sehen wir es nicht.

In einer der drastischsten Szenen des Films geißelt sich das mordende Opus-Dei-Mitglied Silas ganz im Sinn Dan Browns mit der fünfschwänzigen Bußpeitsche. Ist das realistisch?

Schlag: Das sind Bilder aus dem Horrorgenre. Davon distanziere ich mich. Das hat mit der Wirklichkeit des Werks nichts zu tun.

Mit seinem Gründer schon. Sein Nachfolger war Zeuge eines seiner Bußrituale, er berichtet von "mehreren tausend schrecklichen Schlägen", vom blutgetränkten Fußboden . . .

Schlag: Wir stehen immer wieder mit Staunen vor dem, was Gott den Heiligen abverlangt. Aber das verlangt Gott nicht von uns.

Es gibt keine Vorschrift oder Empfehlung, weder für Bußgürtel noch für Bußpeitsche?

Schlag: Nein, es ist freiwillig, der Einzelne macht es mit Gott und Beichtvater aus. Man kann aus der Christusnachfolge nicht das Kreuz ausklammern, Bußübungen gab es von Franz von Assisi bis zu Mutter Teresa. Leute nehmen heute viel Schmerz auf sich, für Fitness oder Schönheitsoperationen - das ist gesellschaftlich akzeptiert. Aber wenn jemand einen ganz symbolischen Schmerz auf sich nimmt, um gleich gestaltet zu sein mit Christus im freiwilligen Leiden, ist es leibfeindlich. Abgesehen davon besteht Buße bei uns vor allem in den Alltagsmühen, in Sorgfalt, Freundlichkeit, Mäßigung.

Werden Sie eine Empfehlung an die österreichischen Opus-Dei-Mitglieder abgeben, sich den Film anzusehen oder nicht anzusehen?

Schlag: Nein, jeder ist in der Lage, das für sich zu entscheiden. Mich persönlich schmerzen die Unwahrheiten über Jesus Christus und die Kirche viel mehr noch als die Darstellung des Opus Dei.

Ein Interview von Anne-Catherine Simon (Die Presse) 13.05.2006