Betrachtungstext: 26. Juli – Hl. Joachim und hl. Anna

Die Generationen, die uns vorausgehen – Der Beitrag der Großeltern – Die Älteren, der Schatz einer Familie

EINES TAGES, während Jesus predigte, meldete sich eine Frau aus der Menge zu Wort und pries seine Mutter: Selig der Schoß, der dich getragen, und die Brust, die dich gestillt hat! (Lk 11,27). An der Hand der Kirche gehen wir in der Dankeskette heute noch weiter zurück. Im Eingangsvers der Messe rufen wir zunächst aus: „Lasst uns Joachim und Anna ehren, durch die der Herr alle Völker gesegnet hat.“1 Und danach blicken wir mit Jesus Sirach auf noch weiter zurückliegende Generationen und loben sie: Preisen wir nun die berühmten Männer, unsere Väter der Abstammung nach. Diese waren Männer des Erbarmens, deren gerechte Taten nicht vergessen worden sind. Bei ihren Nachkommen hat es Bestand und ein gutes Erbe sind ihre Nachfahren (Sir 44,1.10-11).

Gott ist Mensch geworden, mit allen Konsequenzen. Als Maria den Sohn Gottes in ihrem Schoß aufnahm, nahm ihn ihre ganze Familie mit ihr auf: eine Familie mit ihren Wurzeln und ihrer Geschichte, in der die Barmherzigkeit Gottes und die freien Entscheidungen vieler Männer und Frauen miteinander verwoben sind. Jesus ließ sich von diesem Erbe prägen. Es formte die Züge seiner Persönlichkeit und gab ihm eine Vergangenheit, Bindungen, Bräuche und Traditionen. Der Herr ist ganz in dieses Haus eingetreten, wie wir im Zwischengesang beten: Das ist für immer der Ort meiner Ruhe, hier will ich wohnen, ich hab ihn begehrt (Ps 131,14).

Matthäus und Lukas haben der Genealogie Jesu in ihren Evangelien breiten Raum gewidmet. Das heutige Fest ist ein Anlass, damit auch jeder von uns auf die Generationenreihe zurückblickt, die ihm vorausgegangen ist und die der Herr benutzt hat, um ihn ins Leben zu rufen. Es ist tröstlich zu entdecken, dass er uns nicht als lose Verse, sondern als Glieder einer Kette gewollt hat; er hat uns einen festen Boden gegeben, auf den wir unseren Fuß aufsetzen können, einen Boden, den Gott in freudiger Erwartung bereitet hat, im Gedanken an uns persönlich, damit wir dort Wurzeln schlagen können.


GEMÄSS der Überlieferung besaßen Joachim und Anna ein Haus in Jerusalem, das nur einen Steinwurf vom Teich Bethesda entfernt lag, wo sich eine große Zahl von Kranken versammelte und wo Jesus später als Erwachsener einen Gelähmten heilen würde.2 In diesem Haus wurde seine Mutter geboren; und es ist möglich, dass sich die Heilige Familie bei ihren Reisen nach Jerusalem häufig dort aufhielt, so dass Jesus die Zuneigung seiner Großeltern erfahren konnte.

Wie die Eltern sind auch die Großeltern, so Worte des heiligen Josefmaria, „ein Zeugnis für den Wert und den Sinn des Lebens, verkörpert in einem konkreten Leben und bestätigt in allen Umständen und Situationen, die im Laufe der Jahre aufeinanderfolgen“3. Gleichzeitig tragen sie auf einzigartige Weise durch Verständnis und Zuneigung zum Familienklima bei. Es ist tatsächlich typisch für die Jugend, zu glauben, dass alles bereits beim ersten Anlauf perfekt gelingen muss. Früher oder später müssen wir jedoch feststellen, dass die Misserfolge häufiger sind als die Siege. In solchen Momenten besteht die Gefahr, dass wir frustriert sind und die Hoffnung verlieren. Großeltern, die dies alles bereits durchgemacht und vieles erlebt und gesehen haben, können die Gefühle ihrer Enkelkinder verstehen.

Gott kann uns seine Zärtlichkeit durch unsere Großeltern erfahren lassen. Mit ihrer Verfügbarkeit und ihrem Zuhören helfen sie uns, unsere Niederlagen zu relativieren und vor allem all das Gute zu sehen, das uns umgibt. Papst Franziskus sagte: „Als wir aufwuchsen und uns unverstanden fühlten, oder wenn wir Angst vor den Herausforderungen des Lebens hatten, bemerkten sie uns und was sich in unseren Herzen veränderte, unsere heimlichen Tränen und die Träume, die wir in uns trugen. Wir sind alle auf den Knien unserer Großeltern gesessen, die uns in ihren Armen hielten. Und auch dieser Liebe ist es zu verdanken, dass wir erwachsen geworden sind.“4


MANCHMAL erschwert uns das hektische Tempo, in dem wir uns bewegen, ausreichend Zeit mit unseren Angehörigen zu verbringen; und das trifft noch viel mehr zu, wenn diese nicht in unserem Haushalt leben. Der heilige Josefmaria pflegte zu betonen, dass Menschen, die Einschränkungen haben oder krank sind, ein wertvoller Schatz für die Familie sind, weil sie den Auslöser für das Wachstum der Liebe bilden können. Ähnliches gilt auch für ältere Menschen. Indem wir ihnen Fürsorge und Zuneigung entgegenbringen, erfüllen wir nicht nur eine Pflicht der Gerechtigkeit, sondern erweitern auch unsere Fähigkeit zu lieben. Zuhören, ihnen bei einer Aufgabe helfen oder ihnen Nähe und Zuneigung zeigen - diese Gesten stillen unseren Durst nach dem Aufbau starker Beziehungen, insbesondere innerhalb der Familie.

Zwischen Jung und Alt kann eine für beide Seiten bereichernde Beziehung entstehen. Junge Menschen können von den Älteren Haltungen wie Verfügbarkeit oder Großzügigkeit sowie konkrete Lebenserfahrungen lernen, die diese an sie weitergeben können; sie können auch etwas über die Vergangenheit lernen, um sich auf die Zukunft vorzubereiten. Die Älteren wiederum fühlen sich durch den Kontakt mit den Jüngeren verjüngt; diese erinnern sie daran, dass sie nicht allein sind und dass sie viel beizutragen haben. Franziskus sagte in einer Botschaft zum Welttag der Großeltern und älteren Menschen: „Das Alter ist (…) eine Zeit, in der wir noch Früchte tragen können: Eine neue Aufgabe wartet auf uns, und sie lädt uns ein, in die Zukunft zu schauen.“5 Bitten wir Maria, uns zu lehren, unsere Großeltern und unsere Ältesten zu ehren, damit diese Kette von Segnungen, die Gott im Überfluss von Generation zu Generation ausgießt, fortgesetzt wird.


1 Schott-Messbuch, Eingangsvers zum Fest des hl. Joachim und der hl. Anna.

2 Vgl. Jesus Gil und Eduardo Gil, Spuren unseres Glaubens, Aufzeichnungen über das Heilige Land. Saxum International Foundation, S. 142-144.

3 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 28.

4 Franziskus, Predigt, 25.7.2021.

5 Franziskus, Botschaft, 24.7.2022.